Poetischer Versuch zur Vernichtung der Schöpfung durch Gott in Genesis 7,17–24. Auszug aus einer Predigt vom 30. Januar 2022 in der Freien evangelischen Gemeinde Fischbacherberg (Link zum Podcast).
„Lieber“ Gott, ich frag’ mal: was hast du
dir dabei gedacht, so zu eskalieren?
In den Stunden, Tagen ,Wochen,
als du – und sei es unter Tränen und Zittern –
dem Leben, fast vollständig, ein Ende gemacht
hast du dir nicht selbst das Herz gebrochen?
So bekommt doch jedes Lied und Beten einen bittern
Beigeschmack, der mir im Halse stecken bleibt.
„Lieber“ Gott, ich frag mich: wie lieb
kann etwas sein, das Leben zerstört?
Etwas, das die noch feuchten Lebensgemälde verwischt,
mühsam geschriebene Geschichten ausradiert,
sorgsam komponierte Melodien zum Schweigen bringt?
Was hast du uns da aufgetischt?
Was für ein Chaos hast du da serviert?
Nein, ich mag nicht mehr … glauben, lieben oder hoffen.
„Lieber“ Gott, ich denk mir: was für
eine dumme Idee war das?
Erst alles so fein säuberlich zu schaffen,
machst dich dann für Generationen aus dem Staub
um dann erstaunt festzustellen: Huch, alles kaputt?!
Veranstaltest auf hoher See einen Affen-
zirkus, während drumherum das Leben – mit Verlaub –
mehr als nur den Bach runtergeht. Nein, danke.
„Lieber“ Gott, was glaubst du: soll ich
jetzt noch von dir halten?
Mag sein, die Menschheit hat es übertrieben
Und ja, sie schaufelt sich ihr eignes Grab
Aber rechtfertigt das ihre völlige Vernichtung?
Die Verantwortung kannst du nicht von dir schieben
Also wälze sie nicht auf Freiheit, Sünde oder sonstwas ab
Du bist verantwortlich, es ist deine Flut.
„Lieber“ Gott, ganz ehrlich: mir steht
das Wasser bis hier oben!
Ok, ich glaube schon an deine Liebe
Aber du machst es mir damit verdammt nochmal nicht leicht
Wie soll ich an eine Liebe glauben, die hasst?
Mein Gott, da sind Sand und Blut im Getriebe!
Leise flieht der Glaube, weil die [L]iebe Hoffnung nicht reicht
Und ich fliehe mit ihm, vor dir.
„Lieber“ Gott, es ist so: ich könnte
zynisch werden und schreien und fluchen!
Denn so richtig klar mit dir komm‘ ich nicht.
Dein Geheimnis ist mir rätselhafter Widerspruch
Zermartert mir mein Hirn und mein verletztes Herz
Wohin ich denke ist keine Lösung in Sicht
Wohin ich glaube geht mein heiles Bild zu bruch
Ich weiß nicht recht, was von dir und mir noch übrig bleibt
„Lieber“ Gott, ich schweige
Die einen Worte fehlen, die anderen habe ich verlernt
Die nötig wären glaubte ich verboten
Also schweigen
Hab’ jedes noch so schlaue Lösungswort entfernt
Will weder Theorien noch Theologien ausloten
Will traurig schweigen – und sehr wütend
„Lieber“ Gott, ich würde
Gern wissen wohin es geh’n soll
Mit uns, mit dir, mit mir und dem Leben
Wenn du so grausam mit der Schöpfung spielst
Verspielst du mit ihr mein Vertrauen
Jedesmal, mit jedem neuen Beben
Weil du mit jedem Schmerz der Welt auf meinen Glauben zielst
Ich glaube – hilf meinem Unglauben! Und deinem.
„Lieber“ Gott, ich fliehe
weg von dir, zu dir hin.
Ich dreh’ mich im Kreis und sehe in jede Richtung denselben Raum
Dich – weil ich aus dir nicht rauskomme
Weil du das Leben bist in dem mein Leben Leben ist
Schmerzhaft und schön, zwischen Trauma und Traum,
höre in jedem toten Winkel diese selbst verletzte Stimme
die wimmert und weint und um sich selber ringt – um dich.
Gott, Universum, Macht, höchstes Wesen,
manchmal fehlt mir sogar das Wort für dich
Und wenn ich es nur könnte, ich würde aufhören es zu suchen
Wenn es möglich wäre, ich würde versuchen es zu vergessen
Und wenn ich nur in der Lage wäre, würde ich gehen.
Aber jede meiner Suchen wird sich doch in dir verlieren
Jeder meiner Versuche ist doch an dir gescheitert
Weil du das Leben bist. Und ich hänge am Leben.
Also, höre und rede
weine und schweige
schreie und ruhe
berge und verberge
ich mich in dir
du dich vor mir
Weil das Leben ist.
Also, komme und verschwinde
handle und warte
verstöre und tröste
vergesse und rette
ich mich bei dir
du dich vor mir
Weil du, trotz allem, das Leben bist.
© Sebastian Rink / 2022
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